Als Ahnenforscher stößt man oft auf alte Berufe oder Berufsbezeichnungen, die man heute nicht mehr kennt. Aber diese Berufe sind eine wertvolle Ergänzung zu den Lebensdaten und ermöglichen eine Vorstellung von den früheren Lebensverhältnissen
. Außerdem lassen sich aus ihnen Rückschlüsse auf die beruflichen Optionen der Nachfahren
bis hin zu den heute lebenden Generationen ziehen.
In den vergangenen Jahrhunderten waren die auf dem Dorf lebenden Menschen vor allem in der Land-, Vieh- und Holzwirtschaft tätig. Darüber hinaus wurden weitere Einkünfte durch lokal oder regional nachgefragte handwerkliche Tätigkeiten erzielt. Im Normalfall galt, dass der älteste Sohn den Hof der Eltern übernahm und die jüngeren Kinder ihr Einkommen als Handwerker oder Knechte verdienten, sofern sie nicht auf dem Hof mitarbeiteten. Für die Rekonstruktion von Familienlinien ist dies ein wichtiges Indiz, denn daraus lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit ableiten, welche Berufe die Väter der Personen ausgeübt haben, deren Berufe bereits bekannt sind.
Traditionelle und neue Berufe
Über Generationen wurden die Berufe an die Kinder weitergegeben. Allerdings führte die Agrarkrisen des 19. Jahrhunderts dazu, dass vor allem kleine Bauernhöfe
unrentabel wurden und daher oft zugunsten von Handwerks- oder Gastronomiebetrieben
aufgegeben wurden. Dies war natürlich nur denjenigen möglich, die über Land verfügten, das sie verkaufen oder verpachten konnten, also üblicherweise den Erstgeborenen (Gruppe I). In dieser Gruppe folgten der Arbeit als Bauer also Tätigkeiten als selbstständige Handwerker und Unternehmer, die noch bis heute andauern. Eher in Einzelfällen war der Verlust des bäuerlichen Betriebes zugleich mit der Aufgabe der Selbstständigkeit und der Aufnahme abhängiger Beschäftigungen verbunden.
Den nachgeborenen Bauernkindern boten sich im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts dagegen andere Optionen. Auslöser dafür war die Gründung des Deutschen Reiches, das nicht nur eine große Zahl von Verwaltungskräften
benötigte, sondern auch mit dem Aufbau des modernen Hochschulwesen
s begann. Finanziell gut ausgestatteten Personen bot sich damit die Möglichkeit, ein Studium aufzunehmen. Diese Option stand vor allem jüngeren Bauernkindern offen, die über die entsprechenden Mittel verfügten (Gruppe II).
Anders war die Situation dagegen bei den Handwerkerfamilien
. Bot die Weberei anfänglich ein solides Auskommen, wurde es mit dem Beginn der Industrialisierung ab etwa 1840 für die Heimarbeiter immer schwieriger, gegen die aufkommenden Fabriken zu konkurrieren. Für die Handwerker bedeutete das einen Wechsel von einer ursprünglich eigenständigen Tätigkeit zur abhängigen Beschäftigung. Durch die Abwertung
des Heimhandwerks gab es für diese Personen kaum Alternativen, wenn sie am Ort blieben (Gruppe III). Diese Situation hat sich bis heute kaum geändert, da die Berufsmöglichkeiten in der ländlichen Region immer noch sehr eingeschränkt sind.
Bei gleichzeitig kontinuierlich steigenden Bevölkerungszahlen
war es daher eine bessere Option für die Nachfahren der Handwerker, die Heimat zu verlassen
und anderenorts, vor allem in städtischen Regionen
, nach Arbeit zu suchen (Gruppe IV).
Da die Migranten ihre ursprüngliche Heimat in der Regel für immer verließen, eröffneten sich für deren Kinder neue berufliche Wege
, z. B. in der Verwaltung von öffentlichen Einrichtungen und Unternehmen. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts führten darüber hinaus die Bildungsexpansion und der allgemein steigende Wohlstand dazu, dass sich der zweiten Generation der Migrantennachfahren berufliche Optionen bis hin zur Akademikerlaufbahn boten.
Fazit:
Das, was wir heute sind, hat seinen Ausgangspunkt in weit zurückliegenden Zeiten. Es lohnt sich also, den Berufen der Vorfahren genauere Beachtung zu schenken. Sollten Sie dabei auf den Fall stoßen, dass unter Ihren Handwerker-Vorfahren unerwartet ein Bauer auftaucht, dann kann das zweierlei bedeuten: Entweder hatte Ihr Vorfahre unglaubliches Glück bei der Brautwahl oder Sie haben schlichtweg einen Fehler in Ihrer Vorfahren-Linie. Wahrscheinlicher ist leider der zweite Fall.
Quelle: Auszug aus Artikel "Bauern und Weber", Computergenealogie 3/2018